„Es ist ein Leben wie im Hochsicherheitstrakt. Nur Augen zu und durch, denn keiner hilft. Du musst ständig vorbereitet sein, inhaftiert zu werden.“ Mit diesen drastischen Worten beschrieb Sayragul Sauytabay das derzeitige Leben in der westchinesischen Provinz Xinjiang, zu dem Uiguren, Kasachen und andere Nicht-Chinesen seit Jahren gezwungen sind. Sauytabay war selbst 5 Monate in einem chinesischen Umerziehungslager inhaftiert und sammelt seit ihrer Flucht nach Schweden Zeugenaussagen zum Thema. Die Autorin Alexandra Cavelius hat ihre Geschichte aufgeschrieben, die Münchner Lehramtsstudentin Shanura Kasim übersetzte.
Fr. Sittl von der gastgebenden Stadtbücherei Pfreimd konnte im gutbesuchten Vortragsraum den Besuchern einen interessanten, wenn auch eindringlichen Abend wünschen. Barbara Beck, Sprecherin von Amnesty International, die diesen Abend organisierte, führte in das Thema Uiguren ein.
Sauybatay, die wegen gesundheitlicher Spätfolgen ihrer Haft derzeit nicht reisen kann, wurde per Video zugeschaltet. Im Wechsel mit ihren übersetzten Beiträgen und Passagen aus dem Buch „Chinaprotokolle“, mehreren Filmeinspielungen sowie weiteren Augenzeugenberichte zeichneten die Frauen ein eindringliches Bild von den Repressionen, denen ethnische Minderheiten in Westchina ausgesetzt sind. Die Region, von den Referentinnen konsequent mit Ostturkestan bezeichnet, war vor 50 Jahren noch fast ausschließlich von Uiguren, Kasachen und Turkmenen besiedelt. Nun liegt ihr Anteil bei ca.45%. In ihrem Bestreben nach einem „einheitlichen Staatsvolk ohne Ethnien“ setzt die chinesische Staatsführung auf vielfältige Repressionen, um Kultur und Religion der Uiguren auszumerzen.
Sauytabay berichtete von den provinzweiten Unruhen 2009 und der überharten Reaktion der Kommunistischen Partei Chinas seitdem. Die Umerziehungslager sind mittlerweile als Gefängnisse deklariert. Uigurische Kulturschätze und religiösen Stätten sind der Zerstörung ausgesetzt. Hunderttausende werden in Umerziehungslagern aus zum Teil nichtigen Gründen monatelang einer Indoktrination ausgesetzt. Sauytabay selbst musste wegen ihrer guten Chinesisch-Kenntnissen ihren Mithäftlingen die zentrale Staatsdoktrin einbläuen. Es gibt glaubhafte Berichte über Zwangsverheiratungen, Organhandel, Zwangsarbeit und Deportationen. Die Hebamme R. Nuri berichtet von Todesfällen wegen mangelnder Hygiene bei Zwangsverhütung, Sterilisation, und Zwangsabtreibungen. Die Chinesifizierung beruht auf einer Drangsalierung der uigurischen Kultur und bewusster Senkung uigurischer Geburten. Die Kinder der Inhaftierten werden in Erziehungsheimen einer Situation ausgesetzt, die sie gewollt verrohen lässt.
Auch nach ihrer Flucht ist der lange Arm Chinas immer präsent. Neben Drohungen und Einschüchterungen sind auch immer die in China verbliebenden Angehörigen gefährdet. Eine Häufung von Unglücken und plötzlichen Todesfällen ist nicht mehr mit Zufällen zu erklären. Daneben unterhält die chinesische Polizei „Auslandspolizeiwachen“, deren Illegalität selbst die deutsche Bundesregierung dieses Jahr zu einem Protest veranlasste.
Andererseits investiert die KPCh hohe Summen und Aufwand, viel Social Media und Influencer, um ein glückliches Bild der Uiguren zu vermitteln. Auch ausländische Firmen wurden gezielt in Ostturkestan angesiedelt, wenn auch deren Engagement angesichts der Menschrechtslage allmählich nachlässt.
Auch deutsche Firmen machen noch ungeniert Geschäfte mit KPCh. Die Neue Seidenstraße erzwingt ebenso Wohlverhalten wie die begehrten Seltenen Metalle. Kaum ein westlicher Konzern riskiert angesichts des riesigen chinesischen Marktes einen Hinweis auf die Menschenrechtslage. Auch auf politischer Ebene wiederspiegelt sich die gleich Zurückhaltung. Abschließend betonten die Referentinnen, wie notwendig das ständige Hinweisen auf die Menschenrechtsverletzungen des größten Handelspartners Deutschlands. Nur durch ständigen politischen Druck, dem Kaufverhalten der Konsumenten und dem langjährigen Engagement von Menschenrechtsgruppen bleibt die Hoffnung auf Änderung der unseligen Lebensbedingungen erhalten.